Sprachpfleger, Besserwisser und Rechtschreibpäpste

8. September 2006, 20:22 Uhr Martin

Wie Pilze aus dem Boden schießen sie hervor: Unmengen von selbsternannten Sprachpflegern, die den Genitiv verteidigen, sich über falsche Apostrophe beschweren und unaufhörlich die Aussprache (»Njokki, nicht Gnottschis«) und Pluralbildung verbessern (»Atlanten, nicht Atlasse«), manchmal allerdings etwas voreilig (»Babies« statt den im Deutschen korrekten »Babys«), oder zum Erhalt der deutschen Sprache und dem Schutz vor denglischer Überfremdung aufrufen.

Achtung: Dieser Beitrag könnte Meinung enthalten!

Waren Zwiebelfisch und Konsorten anfangs noch unterhaltsam und witzig, weil auf unkonventionelle Weise die Tücken der deutschen Sprache aufs Korn genommen wurden, so ist dieser sprachbesserwisserische Weg mittlerweile ziemlich breitgetreten. Jeder plappert die Sache mit dem Tod des Genitivs zugunsten des Dativs nach und fühlt sich dabei unheimlich hip und sprachgewandt. Doch ist es nicht ziemlich arrogant, sich überlegen zu fühlen, nur weil man weiß, wie Sauce Hollondäs Hollandese Hollandaise richtig geschrieben wird?
Na und? Sollen die Leute doch »Lexica’s« und »Morgend’s« schreiben, wenn sie das mögen. Denn das schreiben Leute, die voll im Leben stehen und andere Dinge zu tun haben, als den Duden zu wälzen. Menschen, die dafür ihr eigenes Handwerk beherrschen und derlei akademische Diskussionen für überflüssig, ja geradezu lächerlich halten.

So lange man’s noch versteht, schadet weder ein überflüssiger Apostroph noch ein Leerzeichen. Ich finde, damit liegt die überwiegende Mehrheit der Deutschen gar nicht so falsch. Denn »richtig« schreiben müssen, entgegen allem Talkshowgezeter, nur wenige, darunter Lehrer und Schüler, öffentliche Ämter und Staatsorgane. Allen anderen kann es eigentlich wurscht sein, wie man dies oder jenes jetzt oder schon immer schreibt. Selbst Verlage lassen es oft zu, dass Autoren weiterhin nach der mittlerweile veralteten Rechtschreibung publizieren (unserer jedoch nicht).
Ich betrachte eine korrekte Rechtschreibung und einen halbwegs anständigen Sprachstil mittlerweile als reine Höflichkeitsgeste des Schreibers gegenüber dem Leser. Genauso wie man nicht mit vollem Mund spricht, hält man sich an die Rechtschreibkonventionen, damit der Leser den Text schnell und problemlos erfassen kann, one ühba jehdes Worrd eintzeln zuh schdolpern.

Die Zeiten sind vorbei, in denen mir beim Anblick eines Deppenapostrophs oder eines Deppenleerzeichens (von einer meiner Professorinnen auch liebevoll »Deppenplenk« genannt) ein fast heiliger Zorn aufstieg. Vorbei, als ich Läden mit fehlerhafter Beschriftung boykottierte oder jedesmal, wenn ich Worte wie »Anschluß« sah, gleich anhob, die Vorzüge der ss/ß-Regelung der Neuen Deutschen Rechtschreibung zu preisen.

Naja, ich muss gestehen, bei Zeitungsartikeln mit mehr als drei Tipp- oder Rechtschreibfehlern verlässt mich noch immer der Mut weiterzulesen, und ja, jedes mit falschen Apostrophen verunzierte Schild lässt mich noch immer zusammenzucken. Aber all das regt mich nicht mehr auf. Denn eins muss ich zugeben: Auch ich kenne nicht alle Kommaregeln, Schreibvorschriften und Merksätze zur Rechtschreibung. Vieles mache ich aus dem Bauch heraus richtig (oder eben auch nicht), und manche Regeln finde ich so umständlich, dass sich mein Verstand geradezu weigert, diese Dinge zu merken. Deshalb sollten sich viele mit Kritik ein wenig zurückhalten und erst einmal vor der eigenen Haustüre kehren.

Thema: Sprache
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bisher 3 Kommentare

  • 1. Marcel Saft  |  29. September 2006, 14:19 Uhr

    Hallo Martin,

    was so ein halbes Jahr Hochschul-Abstinenz alles bewirken kann ;o) Man wird halt älter. Die Sache mit der Arroganz – da hast du ganz Recht. Ich glaube, dass ich selbst auch »ruhiger« geworden bin, allerdings aus einem etwas anderen Grund: Die Jagd nach Regeln ist einfach keine Erfüllung.
    Bei der Beurteilung fremder Texte sollte man aber unterscheiden zwischen professionellen und nicht professionellen Schreibern: Dem Kneipenwirt sei es nachgesehen, wenn er seine Angebotstafel mit Apostrophen verziert. Was aber professionelle Schreiber angeht – und dazu gehörst du wohl auch –, ist deine Aussage m. E. nicht haltbar:

    »Ich betrachte eine korrekte Rechtschreibung und einen halbwegs anständigen Sprachstil mittlerweile als reine Höflichkeitsgeste des Schreibers gegenüber dem Leser.«

    Vielleicht hast du’s nicht ganz so gemeint, wie’s da steht; eine korrekte Rechtschreibung und ein nicht nur »halbwegs« anständiger Sprachstil sind nichts Geringeres als unser Handwerkszeug, die Basis unserer Arbeit! Klar vertippt man sich mal.
    »Jeder plappert die Sache mit dem Tod des Genitivs zugunsten des Dativs nach …« – Vielleicht willst du dich bloß distanzieren von nachplappernden Laien. Wenn das so ist, meine ich: das musst du gar nicht, denn du spielst in einer ganz anderen Liga. Und in dieser Liga würde ich (z.B.) einen beanstandeten Apostroph nicht als Besserwisserei abtun.

    Tja, und dann schreibst du ganz am Anfang was von »selbsternannten Sprachpflegern, die [zum] Schutz vor denglischer Überfremdung aufrufen.« – Finde ich dann doch etwas daneben. Können wir mal drüber schwatzen, wenn du Lust hast. Ich überleg mir derweil, ob ich mich überhaupt angesprochen fühlen will ;o)

    Gruß aus Ettlingen
    Marcel – der Bedienbarkeitstester ;o)

  • 2. Elli  |  9. Juli 2008, 22:53 Uhr

    Hallo Martin,

    ich krieg‹ das Kotzen, wenn ich zufällig einen Roman erwische, der in neuer Rechtschreibung geschrieben ist. Wie mir letzte Woche passiert. Nachdem ich etwa 20 Seiten gelesen habe, flog das Buch (obwohl sehr spannend vom Inhalt) in die Mülltonne.
    Ein Graus, wenn ich lesen muß: »Halten Sie mich auf dem Laufenden.« Herrgott! Ich kann doch niemanden auf einem Menschen festhalten der läuft! So war nämlich der Sinn des Satzes in der alten RS, wenn das Wort »Laufenden« großgeschrieben wird. In der neuen RS wird die Syntax in vielen Sätzen verhunzt, weil der Sinn nicht mehr klar ist.
    Ich könnte jetzt noch Dutzende solche Beispiele bringen, aber das möchte ich Dir nicht antun!
    Es ist schon beschämend, daß keiner den Mut aufbrachte, gegen die neue RS zu demonstrieren, gegen deren Abschaffung auf die Straße zu gehen, obwohl 71 Prozent der Bevölkerung die neue RS ablehnte.
    Herrgott noch mal! Haben wir Deutsche denn kein Rückgrat mehr?

  • 3. Martin  |  10. Juli 2008, 10:53 Uhr

    Hallo Elli,

    deine Kritik an der »neuen« Rechtschreibung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Insgesamt bin ich mit den Neuregelungen sehr zufrieden. Die aus meiner Sicht einzige seltsame Neuregelung (Getrennt- und Zusammenschreibung) wurde gelockert.
    Bei deinem Beispiel mit dem »Laufenden« vergisst du, dass dieser Satz, wie jeder andere auch, einen Kontext hat und man normalerweise gar nicht auf die Idee kommen sollte, hier huckepack genommen zu werden.
    Ich will und kann mich jetzt nicht in sprachwissenschaftlichen Details ergehen, aber ich denke, gerade für Kinder, die Lesen und Schreiben lernen, ist die aktuelle Rechtschreibung einfacher und sinnvoller geworden (z. B. indem man Wörter mit vorangestelltem Artikel großschreibt). Viele Ausnahmen und unsinnige Regelungen der alten RS fielen weg.

    Ansonsten: Gegen eine Rechtschreibreform zu demonstieren wäre blanker Hohn, wenn nicht einmal mehr gegen Kampfeinsätze mit deutscher Beteiligung, Vorratsdatenspeicherung etc. richtig demonstriert wird. Es gibt aus meiner Sicht Wichtigeres als eine reformierte Rechtschreibung! Im Übrigens sind »wir Deutsche« einfach nicht kompetent genug, um über Sprache demokratisch abzustimmen. Das muss ich (bzw. müssen wir alle) leider jeden Tag sehen …


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